Mercado 20 de Noviembre de Oaxaca
© Laure Nashed
Mercado Oaxaca
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Supermercado Ciudad de México © Laure Nashed
Día de los Muertos, Ciudad de México 2019
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San Juan Chamula
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Día de los Muertos, Ciudad de México 2019
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In der Einleitung des Buches „History of Mexico – a journey from prehistoric times to the present day“ schreibt Iñigo Fernández „To understand Mexican history it is necessary to understand that Mexico is neither indigenous nor Spanish, to put it differently, Mexico is the product of a fusion of these two cultures; a product which not only inherited „paternal and maternal“ elements, but was also able to develop on its own in the course of the centuries to acquire a personal stamp as a nation.“
Der Vergleich zweier prägender Ursprünge und der Entwicklung zu etwas Eigenem ist das Thema dieses Blogeintrages. Wichtig ist zu verstehen, dass dieses Land 47 Mal so gross ist wie die Schweiz und von einer enormen Vielfalt geprägt ist. Das Klima ist im Süden komplett anders als im Norden; in Mittelmexiko herrschten zur Zeit der Eroberung der Spanier die Azteken, im Süden herrschten die Mayas, etc. In den nächsten Absätzen beschreibe ich meine Sichtweise der mexikanischen Kultur mit einem Fokus auf das Erbe der bekannten Vorfahren, soweit ich es bisher gesehen und erfahren habe mit Ergänzungen, die mir das Internet offenbart hat. Im weiteren Blogeintrag sind Dokumentarfilme, Podcasts und interessante Internetseiten aufgelistet.
In meinen Augen gibt es viele Sachen, die stark von der Azteken- oder Maya-Kultur geprägt sind, wie beispielsweise das Essen, das noch immer zum grossen Teil aus Mais und Chili besteht sowie die auffälligen Ortsnamen und die traditionelle Musik. Die im letzten Eintrag beschriebene BBC Doku zeigt dies gut auf.
Eher selten im Alltag höre ich indigene Sprachen, was wiederum daran liegen kann, dass ich mich in Mexiko-Stadt und in Stadtquartieren aufhalte, wo diese Sprachen wenig gesprochen werden. Wikipedia zufolge sprechen 7-13% der mexikanischen Bevölkerung eine indigene Sprache.
Sprachinteressierte erhalten eine Einführung (für Gross und Klein geeignet) zur Nahuatl-Sprache und deren Ursprung auf Youtube.
Die Amtssprache ist heute Spanisch und der Grossteil der Bevölkerung versteht und spricht Spanisch. Auch wenn das Spanisch hier anders klingt als in Spanien – viele sagen die Aussprache sei „klarer“ – ist es wohl das offensichtlichste Merkmal der Eroberung der Spanier im 16. Jahrhundert. Die Asociación de Academias de la Lengua Española (offizielle Institution für die Pflege der spanischen Sprache) unter Führung der Real Academia Española wurde zwar in Mexiko gegründet, der Hauptsitz wurde aber anschliessend nach Madrid transferiert und liegt noch heute in Spanien.
Die Religion spielt in Mexiko eine grosse Rolle. 87% der Mexikaner bezeichnen sich als Katholiken, was sie nicht nur auf dem Papier festhalten sondern auch oft praktizieren. Nicht sonderlich repräsentativ aber ein täglicher Reminder an die vorherrschende Religion in Mexiko erhalte ich jeden Tag beim Verlassen der Wohnung: an der Strassenkreuzung vor unserem Haus und direkt vor dem Supermarkt und neben einer Telefonsäule steht ein kleiner Altar, der nächtlich blinkend leuchtet.
Aus heutiger Sicht gelang den Kolonialmächten die Missionierung Mexikos. Doch der mexikanische Katholizismus ist bis heute eine Mischung aus dem Polytheismus der Urvölker mit ihren zahlreichen Göttern und dem Katholizismus, den die Spanier eingeführt haben. Diese Mischung der Religionen und Rituale haben wir bei unserem Besuch in San Juan Chamula erlebt. In einem Dorf im südlichen Bundesstaat Chiapas steht die weisse Kirche mit knallgrüner Verzierung. Beim Eintreten in die Kirche wird man mit einem Erlebnis für alle Sinne überrascht. Der Boden ist mit Kiefernnadeln übersät, nur wenig natürliches Licht fällt in die Kirche, überall sind Kerzen aufgestellt und auf dem Boden sitzen die „Tzotzil von Chamula“ und schwingen lebendige Hühner über die Kerzenflammen, um die Dämonen einzufangen. Dem Huhn wird anschliessend das Genick gebrochen und es wird zusammen mit den Dämonen beerdigt. Das Ritual wirkt tatsächlich wenig katholisch.
In der Süddeutschen Zeitung wird das Erlebnis genauer beschrieben: https://www.sueddeutsche.de/reise/mexiko-huehnerblut-und-coca-cola-1.575376
Um sich ein Bild zu machen (von einem Ort der offiziell nicht fotografiert werden darf): https://www.cityexpress.com/blog/san-juan-chamula-chiapas
Die Brauchtümer der Tzotzil sind eine Ausnahme und ein extremeres Beispiel. In aller Welt bekannt ist dafür der Día de Muertos, der Tag der Toten. Dieser Brauchtum wurde von der UNESCO als eines der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit klassifiziert. Der Name dieser Klassifizierung spricht für sich. Auch wenn dieser Tag umstritten ist, weil er immer mehr zum Konsum-Event wird, zeigt die Erhaltung dieses Festes der Ehrung der Verstorbenen, dass die Kirche bis heute immer wieder mit traditionellen, indigenen Brauchtümern konfrontiert wird und sich gezwungen sieht, eine Stellungnahme dazu abzugeben. Hierzu der interessante BBC Podcast über Religion in Mexiko: https://www.bbc.co.uk/sounds/play/b0bgpqgh
Im Falle des Día de Muertos vermutet Alan Knight im Podcast, dass dieser Tag in Mexiko zu wichtig ist, als dass die Kirche den Tag als inakzeptabel bezeichnen konnte.
Ebenfalls wissenswert ist, dass bereits 1917 in der Verfassung die Trennung von Religion und Politik geregelt wurde.
Wie sehr die Eroberung der Spanier die mexikanische Kunst beeinflusst hat, kann ich nicht sagen – da fehlt mir das Wissen. Auch ist der Begriff Kunst an sich vage. Mein erster Eindruck von den weltbekannten Wandmalereien, bekannt als „muralismo mexicano“, ist, dass sie teils Motive der indigenen Geschichte beinhalten, die Maltechnik aber durchaus europäisch geprägt sein kann. Die handwerkliche Kunst wiederum ist sehr lokal geprägt und damit mit der lokalen Tradition der Nachfahren der Maya und Azteken verknüpft. Besonders sichtbar ist dies bei der Textilfabrikation und den Webereien. Die Stoffe werden noch immer natürlich gefärbt, wie bereits vor über 500 Jahren.
Das weltweite Interesse für das architektonische Erbe der Maya und Azteken wurde Mitte des 19. Jahrhunderts geweckt. Seither suchen begeisterte Forscher nach Antworten und nach weiteren Ruinen. Wie viele präkolumbianische Ruinen in Mexiko stehen, weiss niemand. In 2018 wurden anhand neuer Laser Technologien tausende von weiteren Ruinen in Guatemala entdeckt. Wer weiss, wie viele noch in Mexiko verborgen liegen.
Die Maya und Azteken waren bekannt für unvorstellbar fortschrittliche und durchdachte Städte wie auch für ihr faszinierendes astronomisches und mathematisches Verständnis. Die im Blogeintrag “Die Geschichte der Maya und Azteken: Dokumentarfilme und Podcasts” genannten Empfehlungen lassen einen in die Welten der Maya und Azteken abtauchen.
Die Ruinen dienen heute dem Tourismus. Keine der präkolumbianischen Siedlungen sind meines Wissens nach heute noch bewohnt. Die Tempel und Pyramiden sowie all die vor Ort gefundenen Gegenstände sind ein wichtiger Teil der Kulturerbes Mexikos.
Die heute bewohnten Städte sind teils auf Ruinen der präkolumbianischen Siedlungen gebaut. Die heutige Hauptstadt Mexikos steht auf den Ruinen der Hauptstadt des Reiches der Azteken. Die aztekische Stadt Tenochtitlan wurde innerhalb von 200 Jahren auf einer Insel inmitten des Sees Texcoco erbaut. Die Stadt wurde auf einem Raster konzipiert und entwickelte sich zur grössten präkolumbianischen Stadt Nordamerikas. Die Hochschullehrerin für Kunstgeschichte Daniela Gutierrez teilt ihre sehr übersichtliche Präsentation zur Geschichte und dem Städtebau von Tenochtitlan.
Der Historiker und BBC-Moderator Dan Snow zeigt in seinem etwas wackligen Video das Zusammentreffen der Kulturen der Azteken und der spanischen Eroberer am Beispiel des Templo Mayor und der Kathedrale von Mexiko-Stadt. Wie er zu Ende des Videos sagt, war die Eroberung der Stadt Tenochtitlan und die Missionierung deren Bewohner radikal. Innerhalb nur weniger Jahrzehnte entstand eine Spanische Kolonialstadt. Dazu starb 90% der indogenen Bevölkerung an den Folgen von Krankheiten, die von den Eroberern eingeschleppt wurden.
Nach der Eroberung 1519 wurde die Stadt über drei Jahrhunderte lang von den Spaniern regiert und aufgebaut. In den wichtigsten Kolonialstädten Mexiko-Stadt, Huejotzingo, San Miguel de Allende, Morelia, Oaxaca, Guanajuato und Guadalajara ist die imposante Architektur der Spanier sehr präsent. In Mexiko-Stadt sind die bekanntesten Gebäude der Spanischen Kolonialarchitektur Mexikos zu finden, wie beispielsweise die Kathedrale, der Palacio Nacional, der Castillo de Chapultepec oder der Palacio di Iturbide. Oaxaca ist dafür in der Stadtstruktur – ein- bis zweigeschossige Reihenhäuser der Kolonialzeit konsequent auf einem Rasterfeld angeordnet mit prächtigen Innenhöfen – in seiner Gesamtheit stark von der Kolonialzeit geprägt. Ob die bunten Fassadenfarben von den Spaniern oder der indigenen Bevölkerung gewählt wurden, habe ich bisher nicht rausgefunden. Die „Leyes de las Indias“, die Gesetze der Indias sollen laut Wikipedia die Städteplanung der Kolonialmacht Spanien definiert haben.
Um auf das anfänglich genannte Zitat von Iñigo Fernández zurückzukommen, hoffe ich in den kommenden Monaten aufzeigen zu können, was sich aus der Verschmelzung beider Ursprünge – der Indogenen und der Spanischen – ergeben hat. Was macht Mexiko heute aus? Wie gehen die Mexikaner mit ihrem Erbe um?
Nachtrag: Im Gespräch sagte mir ein Mexikaner kürzlich, dass man noch heute dem ursprünglich “Europäischen” mehr vertraut als dem “Indogenen”. Seiner Meinung nach hat die indigene Bevölkerung wenig Selbstvertrauen. Mal sehen, ob ich darüber mehr rausfinde.